Das Leben hat einen Marderschaden

Kisir - Eine Geschichte aus dem Buch “Das Leben hat einen Marderschaden”

von “Petra Hofmann”.

Kisir

Die Karawane zieht weiter und der Schamane hat Durst. Ich auch. Und Hunger. Erdheilung macht hungrig. Ich verbinde mich mit meiner Identitätsenergie, heute mal eine gute Mutter zu sein und das Gewicht auf die Zubereitung eines hochwertigen Mittagessens zu legen. Wenn man Energiearbeit betreibt, ist das gar nicht so einfach. Man kann da nicht mal eben beim Aldi sämtliche Zutaten besorgen. Die müssen nämlich energetisch hochschwingend, spirituell anständig und von Elfen besungen sein. Das Rezept für das Gericht sollte am besten aus der Akasha-Chronik gelesen werden.

Ich glaube grundsätzlich an das Gute im Leben und gehe mal davon aus, dass die Rezepte bei Chefkoch.de ebenfalls aus der Akasha-Chronik stammen. Ich stolpere über einen Bulgursalat und bekomme sofort Appetit. Alle Zutaten hierfür gibt es in einem türkischen Feinkostladen im Nachbarort.

Von außen betrachtet ist das Geschäft ziemlich unscheinbar. Das Gebäude steht etwas verloren am Rande eines großen Platzes. Früher war da mal ein großer Supermarkt, aber den gibt es nicht mehr. Der Parkplatz ist riesig und vollkommen leer. Eine Papiertüte wird vom Wind über die freie Parkfläche geweht. Und ein paar Spatzen streiten sich vor den Büschen, die den Parkplatz umranden. Alles ist sehr verwahrlost. Fast wie eine Geisterstadt – oder Geisterparkplatz. Wenn vor dem türkischen Laden nicht ein paar Melonen liegen würden, käme man gar nicht auf die Idee, dass in dem Gebäude Leben ist.

Aber laut den Weissagungen des Schamanen, ist genau dieses Geschäft das Beste, was die gesamte Region zu bieten hat. Weil – und jetzt haltet euch fest – der Geschäftsführer kein Geringerer ist, als Gottvater selbst. Also die Inkarnation von Gott sozusagen. So eine Inkarnation ist nicht so häufig anzutreffen, sagt der Schamane.

Ich parke direkt vor dem Laden, betrete das Geschäft und stehe sofort in der Gemüseabteilung. Alles duftet so unglaublich frisch. Als könnte ich jedes Gemüse und jedes Obst herausriechen. Das Grün der vielen Kräuter, die da mittig im Raum, umrandet von den rotesten Tomaten und der gelbesten Paprika stehen die ich je gesehen habe, ist so saftig, dass ich mich der Anblick energetisch so satt macht, dass ich eigentlich schon nichts mehr kochen bräuchte. Vielleicht sollte ich heimfahren, die Kinder holen und sie einfach für zehn Minuten in den Laden stellen.

Das muss das Paradies sein. Direkt neben dem Gemüse ist die Fleischtheke. Nicht, dass ich dass ich jetzt unbedingt tierische Produkte bräuchte, aber eigentlich schon, wenn ich das so sehe.

„Kann ich dir helfen?“, spricht mich jemand von hinten an. Ich drehe mich um und stehe direkt vor Gott. „Was suchst du?“, will er wissen. Gott hat hellbraune Augen. Seine Haare haben die gleiche Farbe. Er ist nicht viel größer als ich und schaut mir direkt in die Augen. Ich hole mein Handy aus der Tasche und zeige ihm meinen Bulgursalat, den ich machen möchte. Gott macht eine Geste, dass ich ihm folgen soll. Nach und nach sucht er mir alle Zutaten aus den Regalen heraus. „Hier, kannst du auch nehmen, ist sehr gut“, meint er und legt mir eine scharfe Paprikapaste in den Einkaufswagen. Gott ist gelernter Koch und kennt sich aus. Weil ich noch so gar nicht nach Hause möchte, zeige ich ihm noch alle anderen türkischen Rezepte auf Chefkoch.de.

Besser kann die Energie von Lebensmitteln nicht mehr werden. Ich will hier leben – hier in der Gemüseabteilung. Zwischen der Petersilie und dem Koriander. Gott grinst. In allumfassende Liebe eingehüllt schwebe ich mit meinen Einkäufen in Richtung Kasse. Und fast wäre ich so glückselig auch zurück zum Auto geschwebt, wenn ich nicht kurz vor der Kasse an der Süßigkeitenabteilung vorbeigekommen wäre. Türkische Süßigkeiten. Ich meine diese vielen kleinen, klebrig süßen Teigteilchen, die in den unterschiedlichsten Varianten auf Backblechen aufgereiht hinter einer Glasscheibe auf den Käufer warten. Die Häppchen sind so mundgerecht portioniert, dass man sie ganz leicht im Mund verschwinden lassen könnte. Hinter der Theke steht ein junger Mann. Er lächelt mich an. Seine Augen sind tiefschwarz und leuchten.

Ich muss an die Worte des Schamanen denken: „Und denkt daran, das Licht gibt es nicht ohne das Dunkle. Das Gute nicht ohne das Böse. Das muss so sein. So ist es.“ Und in einem Nebensatz erwähnte er noch, dass der Azubi von Gott Luzifer sei. Nur so ganz beiläufig.

Ich muss schlucken. Der junge Mann lächelt noch immer. Der Teufel arbeitet in der Süßwarenabteilung. Das hätte ich mir ja denken können. Gottes Auszubildender bietet mir ein Stückchen Baklava an. Noch ehe ich dem Bösen abschwören kann, landet die winzige, honigdurchtränkte Süßigkeit in meinem Mund. Gott, bin ich leicht zu verführen. Gottvater liest meine Gedanken und grinst.

Ich versuche mich zusammenzureißen, aber die Teigteilchen sind stärker. Vielleicht nehme ich nur so ein paar für den Nachtisch mit. Für jeden so zwei bis drei Stück – das langt ja vollkommen. So süß wie das Naschwerk ist, wird es den Kindern bestimmt schnell schlecht. „Ich hätte gerne ein paar von den kleinen Dingern“, höre ich meinen Mund sagen während mein Zeigfinger auf das Baklava zeigt. „So für acht Personen“, fügen meinen Lippen hinzu. Acht Personen? Wie komme ich denn darauf. Wir sind maximal zu fünft. Und eine muss ich wieder abziehen, die isst keinen Honig. Der Teufel hat eindeutig die Hand im Spiel. Und dabei kann der so lieb lächeln. Er hätte da eine Pappschachtel, da würden genau 500 Gramm reinpassen. Ich nicke – das reicht für mindestens sechzehn Personen. „Und ich mache Ihnen die Packung besonders voll“, fügt Luzi hinzu. Ich nicke weiter und drehe mich vorsichtig zur Kasse um. Gott grinst immer noch. Mit gefühlten 1,5 Kilogramm Baklava steh ich dann endlich vor dem Herrn. Er kassiert ab und berührt dabei noch mal jedes Lebensmittel so lange, bis die hohe Energie wieder stimmt. Als er die Kiste mit dem Baklava in den Händen hält, macht es hinter mir ein zischendes Geräusch. Ich drehe mich um. „Das war nur der Azubi – der muss mal auf Toilette“, beantwortet Gott meinen verwirrten Gesichtsausdruck. „So ist es“, würde der Schamane jetzt sagen.

Mein Mittagessen hat heute auf jeden Fall ordentlich Energie und der Bulgursalat ist teuflisch gut.

Über die Autorin

Petra Hofmann befindet sich irgendwo zwischen Pubertät und Pflegeheim. Sie arbeitet als Heilpraktikerin und Trainerin für Körperintelligenz. Nachts schreibt sie mit ihrer Katze Minka heimlich Bücher.

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